Liebe Leserinnen und Leser!
„Weihnachten ist die schwerste Zeit“, so sagt es ein Gefangener aus der Justizvollzugsanstalt in Herford. Weihnachten ist das Fest der Gefühle. Und Gefühle darf man nicht offen zeigen, das lernt man im Knast schnell. Die „Knastkrippe“ des Künstlers Rudi Bannwarth wurde gemeinsam mit jugendlichen Gefangenen aus der JVA Herford gestaltet und verbindet das Weihnachtsgeschehen mit ihrer Lebenswirklichkeit.
Was ist das für eine Krippe? Wie in einem dreidimensionalen Wimmelbild lassen sich verschiedene Menschen und Motive erkennen. Der junge Gefangene sitzt auf seinem Bett in der Zelle. Eingesperrt auf wenigen Quadratmetern. Dahinter ein großes Fahndungsplakat: „Wanted“. Gesucht wird Jesus von Nazareth, der später hingerichtet wird wie ein Verbrecher.
Ist der Gefangene das Kind in der Krippe? Jedenfalls stehen ein Mann und eine Frau an seiner Seite. Maria als junge Frau und Josef, der wie ein Großvater aussieht. Wichtige Bezugspersonen. Die Hand jeweils ausgestreckt. Doch eine Berührung kann nicht stattfinden, die Gefängnismauern verwehren den Kontakt.
Drei weitere Personen ergänzen die Szenerie. Sind sie die drei Könige? Eine Frau trägt eine Krone auf einem Kissen, wie vor einer Krönung. Ein Vollzugsbeamter und eine Richterin mit einer Gesetzessammlung unter dem Arm.
Das soll eine Krippendarstellung sein? Jedenfalls tritt eine Engelsfigur auf. Mit großen Flügeln, cooler Sonnenbrille und schnellem Schritt scheint sie die Mauern zu durchdringen. Alles wird überwölbt von einem großen Stern. Eine Sternenschnuppe, die die Szenerie überstrahlt, einschlägt wie ein Komet und auch die Mauern überwindet.
Der „helle Stern“ als Zeichen der Hoffnung auch in der Einsamkeit der Zelle.
Weihnachten ist das Fest der Familie, so sagen viele. Zu Weihnachten gehört der gemeinsame Bummel über den Weihnachtsmarkt, Familienbesuche, gutes Essen und Gemütlichkeit. Von diesen persönlichen Beziehungen sind die Gefangenen ausgeschlossen und weggesperrt. Weil sie schuldig geworden sind, teils schwere Straftaten begangen haben.
Und so sind sie in der Zelle zurückgeworfen auf das eigene Leben. Zum Nachdenken hat ein Gefangener über die Feiertage besonders viel Zeit. Denn dann sind die Zellen noch häufiger verschlossen als sonst. Weil auch das Wachpersonal nach Hause fahren will, um Weihnachten zu feiern.
Gefangene sind Menschen, die schuldig geworden sind. Und doch Menschen mit Sehnsucht und Hoffnung. In der Weihnachtsgeschichte nach Lukas sind die Hirten als Erste an der Krippe gewesen, obwohl sie damals sozial verachtet waren und als unehrlich galten. Weihnachten redet das Leben nicht schön. Die Nacht von Bethlehem ist keine heile Welt, ihre Bilder deuten an, was Menschen durch die Zeiten hinweg erleben und erleiden: Ein verletzliches Kind wird in der Fremde geboren, in der Kälte, in der Dunkelheit, und es sind Frierende, Sehnende und Suchende, die sich an seiner Krippe versammeln. Das Weihnachtsevangelium nach Lukas ist auch ein Wimmelbild, in dem wir uns in jedem Jahr neu entdecken können. Wo ist mein Platz an der Krippe?
Weihnachten ist schmerzlich schön, von Erinnerung, Sehnsucht und Hoffnung angefüllt, dass Gott in die Dunkelheit kommt, in die Lücken und Brüche unseres Lebens und dieser Welt.
Bleiben Sie behütet.
Pfarrer Frank Schneider, Superintendent